Jamie the Kid

   

Jamie „The Kid“ – ein Rollaway malt uns die Welt bunt

Wir kennen einen Mops mit Namen Brackelmann, der aufgrund eines Virusinfekts ab der Lendenwirbelsäule gelähmt ist, seitdem er ein Jahr alt ist. Dieser Mops ist mit einem Rolli mobil und erfreut sich seines Lebens, als wäre er „ein ganz normaler Hund“. Sein Frauchen sagt immer: „Brackelmann ist der glücklichste Rollmops der Welt!“

Als unsere französische Bulldogge Jamie im September 2016 einen Bandscheibenvorfall erlitt und trotz OP die Prognose, dass er jemals wieder würde laufen können, von den Ärzten als „sehr schlecht“ eingeschätzt wurde, hatten wir immer Brackelmann vor Augen und sagten uns: „Was Brackelmann und seine Familie können, das schaffen wir auch!“

Informationen und Ratschläge für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt waren von den Krankenhausärzten eher rar, und so setzten wir uns noch während unser Bully stationär behandelt wurde, mit einer Physiotherapeutin und mit den Inhaberinnen vom Sanitätshaus für Tiere telefonisch in Verbindung, und von diesen Menschen bekamen wir den Zuspruch, der uns in der Klinik fehlte. Wir erhielten zum Beispiel Tipps, was für Nahrungsergänzungen Jamie in Zukunft helfen könnten, wie wir uns und ihm das Leben erleichtern können und vor allem: Sie machten uns Mut! Etwas, das wir bei den Klinikärzten schmerzlich vermissten.

Der behandelnde Arzt in der Klinik, in der Jamie operiert wurde, malte uns in den düstersten Farben aus, wie das Leben mit einem behinderten Hund sein würde:

  • Der Hund wäre sein Leben lang ein inkontinenter Pflegefall,
  • er brauche rund um die Uhr Betreuung,
  • er würde sich beim Robben die Beine aufscheuern, was zu schwerwiegenden Entzündungen führen könne,
  • wir müssten regelmäßig die Blase ausdrücken und trotzdem sei die Gefahr einer Blasenentzündung oder anderer Erkrankungen sehr hoch,
  • die Lebenserwartung eines behinderten Hundes sei stark reduziert,
  • außerdem könne es zu Spannungen mit dem gesunden Bruder kommen, denn das normale Instinktverhalten von Hunden sei ja immer noch, Kranke und Schwache aus dem Rudel auszugrenzen.

Immer wieder fragte er uns, ob wir denn wüssten, was da auf uns zukäme, wenn wir Jamie erst einmal zu Hause hätten. „Ja, das wissen wir!“ war unsere Antwort.
Im Nachhinein sollte sich heraus stellen: Wir wussten es nicht!

Als wir Jamie aus dem Krankenhaus abholten, stellten wir uns für die nächsten Jahre ein Leben in einer mit alten Bettlaken ausgelegten Wohnung vor, die einen ständigen unterschwelligen Uringeruch verströmte – schließlich war unser Pflegefall ja inkontinent!

Wir hatten die Vorstellung eines relativ isolierten Lebens, schließlich brauchte unser Hund eine 24-Stunden-Betreuung.

Wir stellten uns vor, unsere zwei Hunde im Extremfall getrennt voneinander halten zu müssen, vor allem, wenn wir sie doch einmal allein zu Hause lassen müssten.

Wir stellten uns vor, viel Zeit beim Tierarzt zu verbringen und dort viel Geld lassen zu müssen.

Wir stellten uns ein anstrengendes und teures Leben vor – aber Jamie gehört zur Familie, daher würden wir alles tun, um ihm den Rest seines Lebens so schön wie möglich zu gestalten.

Das war unsere von dem Klinikarzt gemalte Zukunftsprognose, als wir Jamie nach Hause holten.

Innerhalb weniger Wochen stellte sich jedoch heraus: Die Realität sieht anders aus:

Zugegeben – die ersten vier Wochen waren gewöhnungsbedürftig: Wir surften viel im Internet, lernten, einem Hund die Blase auszudrücken, kauften einen Tragegurt, eine Laufhose, diverse Packungen Babywindeln in verschiedenen Größen, legten dort, wo Jamie langrobben sollte, rutschfestes PVC aus, besorgten uns alte Bettlaken und verteilten sie auf Couch, Fußboden und Körbchen, legten einen großen Vorrat Sagrotan und Febreze an und behandelten Jamie wie ein rohes Ei.

Jamie jedoch konnte den Hype um ihn nicht verstehen. Er hatte keine Schmerzen, also wollte er spielen. Als er im Garten seinen kleinen Lieblingsball nicht von uns bekam – schließlich war die OP erst 10 Tage her! – schnappte er sich halt einen auf dem Rasen herum liegenden Ball. Dieser war ungefähr halb so groß wie er und eigentlich für die Pferdetherapie entworfen. Er robbte damit so schnell durch unseren Garten, dass wir Mühe hatten, ihm den Ball wieder abzunehmen. Und er war glücklich. Seine Augen leuchteten und er forderte uns immer wieder zum Spielen auf.

In diesem Moment entschlossen wir uns, Sorgen Sorgen sein zu lassen und die ganze Sache neu anzugehen.

Die düstere Zukunft, die wir beim Verlassen der Klinik vor Augen hatten, ist inzwischen kunterbunt. Wir haben einen lebensfrohen, glücklichen und sehr aktiven Bully zu Hause. Wenn er draußen (im Garten oder vor dem Haus) herum robbt, hat er eine Kinderjeans an, damit er sich die Beine an den Steinen nicht aufscheuert. Es ist praktisch – und sieht ungeheuer cool aus.
In den ersten fünf Monaten nahmen wir Jamie in einem gebraucht gekauften Kinderbuggy mit auf die Gassigänge, damit er nicht allein zu Hause bleiben musste. Er machte uns jedoch schnell klar, dass die wichtigen Neuigkeiten der Umgebung auf dem Fußboden verteilt werden und auch ein behinderter Hund ein Recht auf die Nachrichten des Tages habe, und so bekam er im Februar 2017 seinen Rolli. Seitdem ist er nicht mehr zu bremsen – er ist der erste an der Tür wenn wir fragen: „Wollen wir Gassi?“, Informationen erhält er nun wieder aus erster Hand… Oder Pfote… Oder Hundepipi… Was auch immer am Wegesrand erschnuppert wird… Er läuft mit seinem Rolli Abhänge hinab, durch Bäche, Wälder und über Felder – und hängt seinen Bruder bei kurzen Sprints tatsächlich um Längen ab.

Percy ist ein sehr besorgter Bruder, der Jamie gegen vermeintliche Gefahren beschützen möchte – obwohl das nicht nötig ist, denn Jamie regelt seine Angelegenheiten allein.
Die beiden kuscheln zusammen im Körbchen, rangeln auf dem Rasen, spielen Tauziehen und buddeln gemeinsam in Maulwurfshügeln. Percy wartet geduldig, bis wir Jamie gewindelt und ihm seinen Rolli angelegt haben, bevor es Gassi geht. Und wenn Jamie Percy den Rolli in die Hinterbeine rammt, weil er unbedingt genau dort schnuppern muss, wo Percy gerade steht, macht er ihm ergeben Platz. Einem Wirbelwind geht man halt am besten aus dem Weg!
Unser Tierarzt sieht Jamie eher selten. Naja, zur jährlichen Impfung halt, oder wenn er mal eine Ohrenentzündung hat. Oder wenn er Percy in die Praxis begleitet, weil der sich verletzt hat.
Einmal die Woche genießt Jamie bei seiner Physiotherapeutin eine Massage und staubt Leckerlie ab. Die Behandlungskosten für unseren kleinen „Pflegefall“ halten sich also in Grenzen.
Wir können Jamie – genau wie früher – überall mit hinnehmen. Mit seinem Rolli hält er Spaziergänge von bis zu einer Stunde locker durch, wenn es nicht zu heiß ist. Und wenn er eine Pause braucht, legt er sich halt einen Moment hin. Samt Rolli.

Die Vorwürfe von zum Teil wildfremden Menschen, wir seien Tierquäler, denn „für kranke Hunde gibt es ja schließlich die Euthanasie“, sind inzwischen verstummt.

Im Gegenteil, in den letzten Monaten haben wir dank Jamie und seiner Behinderung sehr liebe und interessante Menschen kennen gelernt, die uns unterstützen, uns weiter bringen und unseren Horizont erweitern.

Jamie zeigt uns tagtäglich, dass Glück und Freude eine Sache der Einstellung sind. Dass Glück und Freude nicht davon abhängen, dass Bully vier gesunde Beine hat. Er macht sich keine Gedanken über seine Behinderung. Er weiß nicht, dass er „anders“ ist. Er robbt und rollt durch´s Leben – NA UND?

Er hat sein Rudel, das ihn liebt, seinen Ball, seinen Garten, seinen Park, seinen Wald, seinen Bach, seinen Napf, sein zu Hause – und das reicht ihm, um glücklich zu sein. Jamie führt uns jeden Tag auf´s neue vor Augen, das man über vergossene Milch nicht weinen sollte, wenn noch eine Kuh auf der Weide steht. Er begrüßt uns freudig an der Wohnungstür und bringt uns mit leuchtenden Augen seinen Ball zum Spielen, noch bevor wir die Jacken abgelegt haben. Er trägt eine unbändige Lebensfreude in sich, um die wir ihn manchmal ein wenig beneiden.

Übrigens: Die Bettlaken entsorgten wir bereits nach wenigen Wochen.

Wir drücken Jamies Blase täglich 4 bis 6mal aus und verhindern so, dass sie überläuft. Dadurch verliert er keinen Urin. Gegen Blasentzündungen bekommt er täglich eine Kapsel Cranberry-Pulver ins Futter – bisher mit Erfolg.

Sein „großes“ Geschäft erledigt Jamie oft während des Gassigehens, bei dem er eine Windel trägt. Sollte er tatsächlich einmal in die Wohnung schietern, riechen wir das sofort, da er sich permanent in unserer Nähe aufhält – Bully darf ja schließlich nichts verpassen! – und können es weg machen. Anschließend ein bisschen Sagrotan-Hygienespray auf die Stelle und die Sache ist erledigt.

Die Ankündigung des Arztes, Jamie würde aufgrund der Inkontinenz immer ein wenig nach Urin riechen, hat sich auch nicht bewahrheitet. Er riecht nur dann danach, wenn er unbedingt an dem Grasbüschel schnuppern muss, das Percy gerade markiert. Ansonsten riecht Jamie nach Gras, weil er sich darin gewälzt hat. Oder nach Fisch, weil er den zum Abendessen hatte. Oder nach Sonne, weil er den ganzen Nachmittag im Garten gespielt hat.

Aber vor allem riecht Jamie – Tag und Nacht – ganz stark nach extrem glücklichem Hund…